Männer in der Pflege

Der Anteil der Männer, die Angehörige zu Hause pflegen, liegt höher als viele vermuten. Ihr Umgang mit dieser Aufgabe ist teilweise anders als der von Frauen, die nach wie vor die deutliche Mehrheit der Pflegenden stellen. Betriebe, die männliche Mitarbeiter in dieser Situation unterstützen wollen, brauchen spezifische Angebote und vor allem eigene Formen der Ansprache.

„Pflegende Männer” sind in der wissenschaftlichen Forschung und Literatur, in den elektronischen oder gedruckten Medien wie auch im Internet ein unterbelichtetes Thema. Ein Grund dafür dürfte sein, dass das Phänomen in seiner Größenordnung nicht nur von Laien, sondern selbst von Fachleuten unterschätzt wird.

Die überwiegende Form der Versorgung von Angehörigen ist nach wie vor die häusliche Betreuung durch Frauen. Der Anteil der pflegenden Männer liegt je nach Definitionskriterien immerhin zwischen 27 und 37 Prozent. In den meisten aktuellen Veröffentlichungen ist von „einem Drittel” Männern die Rede, bei steigender Tendenz. Seit Anfang der 1990er Jahre hat sich der Umfang des männlichen Engagements ungefähr verdoppelt. Insgesamt dürften sich nach Schätzungen bis zu 1,8 Millionen Männer in Deutschland hauspflegerisch betätigen. 1 2 6

„Liebe” statt Pflicht

Die wenigen vorliegenden Erhebungen stellen heraus, dass Männer „aus Liebe” pflegen, weniger aus Pflichtgefühl. Das gilt besonders, wenn sie sich als Ruheständler um die eigene Partnerin auf der Grundlage einer langjährigen festen Beziehung kümmern. Die daraus entstehende Motivation, hebt Langehennig 5 hervor, sei „wichtig für das Verständnis aller weiteren Merkmale männlicher Pflege”.

Er fasst die zentralen Befunde aus den Interviews eines Forschungsprojektes so zusammen: „Männer versuchen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Kompetenzen und Mitteln, für die geliebte Person das Beste herauszuholen”. Dabei verwenden die häuslichen Pfleger Bilder und Begriffe, die häufig aus ihren Erfahrungen im Berufsleben stammen.

Entsprechend viele „Stilelemente aus der Arbeitssphäre”, analysiert Langehennig, lassen sich in diesem geschlechtsspezifischen Pflegeverhalten identifizieren. Männer wollen eine möglichst reibungslose, organisatorisch perfekte Logistik aufbauen. Dafür eignen sie sich „aktiv ein weit reichendes Wissen an”. Sie notieren ihre Beobachtungen und werten diese systematisch aus, „unter Rückgriff auf Informationen aus dem Internet”.

Hybris und Konflikte

Nicht selten, so der Frankfurter Wissenschaftler, setzen sie das so erworbene Knowhow „gegen das Fachwissen professioneller Pflegekräfte”. Er spricht von der Gefahr einer „Hybris”: Männer meinen dann, die besseren Pfleger zu sein, sie „legen also - aus Liebe! - eine gewisse Konfliktfreudigkeit an den Tag”. Hier zeigen sich aus seiner Sicht auch „Schattenseiten männlicher Angehörigenpflege” 5 (S. 19).

Pflegende Männer beschreiben ihre Tätigkeit nach US-amerikanischen Studien 4 als „Arbeit” oder gar als „managerielle Aufgabe”. Sie betonen vor allem das „Funktionieren”, Langehennig zufolge ein „Lieblingswort unserer pflegenden Männer”. Dem gegenüber werden die mit den privaten Pflichten verbundenen Emotionen eher vernachlässigt: Die von dem Forscher Befragten finden „in ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld kaum Anlässe, um über ihre Gefühle zu sprechen” 5. Hilfe holen sie sich eher aus Fachforen im Netz.

Fehlende Zeitsouveränität

Am Arbeitsplatz stoßen pflegende Männer auf ähnliche Hindernisse wie engagierte Väter. Die Flexibilisierung starrer Arbeitszeiten dient vorrangig wirtschaftlichen Interessen und nicht der persönlichen Zeitsouveränität der Beschäftigten mit privaten Verpflichtungen. Anwesenheitskultur und „Dinosaurier-Vorgesetzte”, Führungskräfte mit einer traditionellen Vorstellung von Geschlechterrollen, blockieren entsprechende Wünsche. Auch Betriebs- und Personalräte betrachten Probleme der Vereinbarkeit selten als eine zentrale Aufgabe, obwohl das Betriebsverfassungsgesetz das Thema ausdrücklich als Teil der Arbeit von Interessenvertretern/-innen festschreibt.

Doch immer mehr Firmen verfolgen eine „lebenszyklusorientierte” Personalpolitik. In betrieblichen Befragungen zu Fragen der Work-Life-Balance stellt sich überraschend oft heraus, dass Mitarbeiter/-innen nicht nur „zwischen Kind und Karriere”, sondern auch zwischen ihrem Beruf und der Pflege von Angehörigen balancieren müssen. Das gilt insbesondere bei einem hohem Altersdurchschnitt der Belegschaft.

Gemischte Arrangements

Strategien der Arbeitgeber, die auf individuelle Lebensläufe abgestimmt sind, müssen mit biografischen „Brüchen” von Frauen wie Männern rechnen. Es reicht deshalb nicht aus, sich nur um weibliche Mitarbeiterinnen mit Pflegepflichten zu kümmern. Wie beim Thema Elternschaft gehört der männliche Teil der Beschäftigten auch in der „Elder Care”-Debatte mit ins Boot 3.

Das Engagement von Männern in der Pflege setzt meist erst im Rentenalter ein. Eine Ursache für diesen späten Zeitpunkt sieht der Ludwigsburger Altenforscher Eckart Hammer 2 in der „höheren Verbreitung der Alzheimer-Demenz bei Frauen”. Die Leistung dieser nicht mehr erwerbstätigen Männer besteht überwiegend im Begleiten und Versorgen der eigenen Ehefrau. In „gemischten Pflegearrangements” werden oft mehrere Helfende eingebunden und verstärkt professionelle Dienste in Anspruch genommen. Frauen pflegen dagegen häufiger auch im jüngeren Alter, sie sind vorrangig zuständig für die Familienangehörigen der vorhergehenden Generation.

Kommunikationspolitik

Wie können vor diesem Hintergrund dann überhaupt Unternehmen für männliche Mitarbeiter unterstützend tätig werden? In der Männerstudie der beiden großen christlichen Kirchen 7 erklären sich immerhin zwei Drittel der männlichen Befragten bereit, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, damit sie sich um Angehörige kümmern können. Jeder siebte Mann würde nach eigenen Angaben seinen Job befristet sogar ganz aufgeben. 27 Prozent der Männer (Frauen in der Vergleichsgruppe nur 13 Prozent) verweigerten hingegen grundsätzlich die Pflege von Familienmitgliedern. Als Haupthindernis nannten sie die Sorge um das gemeinsame Haushaltseinkommen.

Angebote, die sich an männliche Beschäftigte mit Pflegeaufgaben richten, müssen auf jeden Fall niedrigschwellig sein. Sie sollten sich an Fachinformationen und praxisorientierter Beratung orientieren. Die Hertie-Stiftung 3 schlägt gar eine geschlechtsspezifische „Kommunikationspolitik” vor: Selbst wenn sich die Instrumente der Vereinbarkeit für Männer und Frauen gar nicht unterscheiden, müssten männliche Zielgruppen anders, vor allem nicht zu emotional, angesprochen werden. Denn moralische Argumente nützen wenig, hebt auch Langehennig hervor: „Motivationskampagnen und Appelle an den Familiensinn der Männer sind letztlich auf Sand gebaut, soweit sie nicht die materiellen Grundlagen der Familie berücksichtigen, nämlich die krassen Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen in ihrer Beschäftigungskarriere und in ihrem Lohnniveau” 5 (S. 20).

Erste kleine Schritte (die wenig kosten)

  • Den Bedarf auch von Männern bei der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege sichtbar machen, ihn ausdrücklich thematisieren und so auch enttabuisieren.
  • Das Thema bei Einstellungs- und Mitarbeitergesprächen berücksichtigen.
  • Deutlich machen, dass Männer genauso wie Frauen die angebotenen Instrumente (etwa flexible Arbeitszeiten oder Notfallregelungen) in Anspruch nehmen können.
  • In betrieblichen Befragungen und Bedarfserhebungen zur Vereinbarkeit Männer gezielt ansprechen.
  • Bei der Weitergabe von Informationen berücksichtigen, dass Männer oft weniger als Frauen über das Thema wissen.
  • Auf emotionale Argumente und moralische Ansprache verzichten.
  • Unter Führungskräften dafür sensibilisieren, dass nicht nur Frauen, sondern auch Männer „Vereinbarkeitsprobleme” haben.
  • Vorgesetzten vermitteln, dass die Angebote kein „Sozialklimbim” sind, sondern die Bindung von Mitarbeitern an das Unternehmen verstärken.

Quelle: Bartjes, Heinz/Hammer, Eckart: Männer und Altenpflege. Analysen und Ansätze für mehr Männer in der Pflege, in: Krabel, Jens/Stuve, Olaf (Hrsg): Männer in „Frauen-Berufen” der Pflege und Erziehung, Opladen 2006

Quelle: Hammer, Eckart: Unterschätzt. Männer in der Angehörigenpflege - was sie leisten und welche Unterstützung sie brauchen, Stuttgart 2014

Quelle: Hertie-Stiftung (berufundfamilie gGmbH): Eltern pflegen. So können Arbeitgeber Beschäftigte mit zu pflegenden Angehörigen unterstützen - Vorteile einer familienbewussten Personalpolitik, Frankfurt 2009

Quelle: Kramer, Betty J./Thomson, Edward H.(Hrsg.): Men as Caregivers, New York 2005

Quelle: Langehennig, Manfred: Pflegende Männer - erste empirische Befunde. In: Gumpert, Heike: Wenn die Töchter nicht mehr pflegen...Geschlechtergerechtigkeit in der Pflege. Friedrich-Ebert-Stiftung, WISO-Diskurs, Bonn 2009

Quelle: Langehennig, Manfred, Betz, Detlef/Dosch, Eva: Männer in der Angehörigenpflege, Weinheim 2012

Quelle: Volz, Rainer/Zulehner, Paul M.: Männer in Bewegung. Zehn Jahre Männerentwicklung in Deutschland. Ein Forschungsprojekt der Gemeinschaft der Katholischen Männer Deutschlands und der Männerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland, Baden-Baden 2009