Nutzen und Fakten für Unternehmen

Unternehmen profitieren davon, wenn ihre Beschäftigten Beruf und Pflege vereinbaren können. Dennoch fürchten viele zu hohe Kosten und den organisatorischen Aufwand entsprechender Unterstützungsangebote. Zu kurz gedacht, denn der nachhaltige Nutzen überwiegt. Und das Vereinbarkeitsdilemma ist längst da – allerdings oft unerkannt.

Mindestens 40 Prozent aller Unternehmen sind schon heute betroffen – weil pflegende Angehörige ihre Arbeitszeit reduzieren müssen. Wenn der Pflegefall eintritt, senken etwa die Hälfte der Beschäftigten ihre Arbeitszeit, meist um fünf bis zehn Wochenstunden. Knapp 20 Prozent geben ihre Arbeit vollständig auf. Kein Wunder, denn die durchschnittliche Pflegedauer beträgt mehr als acht Jahre und mehr als jede/r vierte Beschäftigt/e (28 Prozent) wendet mehr als zwei Stunden täglich für die Betreuung Angehöriger auf. 1

Das hat nicht nur individuelle Folgen für das aktuelle Einkommen und die spätere Absicherung im Rentenalter. Auch die Unternehmen spüren die Auswirkungen in Form vermehrter Krankheitstage, Arbeitsausfällen, geringerer Produktivität bis hin zum Verlust der Arbeitskraft mit den entsprechenden Folgekosten für die Nachbesetzung.

Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Wenn Unternehmen frühzeitig handeln und nach Maßnahmen und Instrumenten suchen, um ihre Beschäftigten zu unterstützen, bedeutet die Zunahme der Pflegeverantwortung der Beschäftigten nicht zwangsläufig Ausstieg, Minderleistung oder Burn Out. Unternehmen, die sich auf den Weg machen, berichten von der überraschenden Erfahrung, dass schon Enttabuisierung und Offenheit für die Unterstützungswünsche der Betroffenen den Druck bei diesen nehmen. Vereinbarkeitslösungen führen im Arbeitsalltag zu erheblich weniger „Störungen“ als das Totschweigen des Themas.

Fachkräfte halten und gewinnen2

Unternehmen, die heute das Thema anpacken, profitieren nachhaltig davon. Sie tragen zur Entlastung pflegender Beschäftigter bei und helfen so, Motivation, Arbeitszufriedenheit und Produktivität der Beschäftigten zu erhöhen und qualifizierte Arbeitskräfte ans Unternehmen zu binden. Sie bleiben attraktiv für neue Fach- und Führungskräfte, denn das Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ gewinnt immer mehr an Bedeutung für Arbeitnehmer/-innen. Familienbewusste Personalpolitik ist ein Standortfaktor. Unternehmen erzielen Einsparungen aufgrund geringerer Ausfallkosten, geringerer Rekrutierungskosten und höherer Produktivität. Sie übernehmen gesellschaftliche Verantwortung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels (Corporate Social Responsibility/CSR).

Bereits 70 Prozent der Firmen haben heute schon (zumindest teilweise) Probleme, passende Fachkräfte für ihre offenen Stellen zu finden. Jedes zweite Unternehmen (49 Prozent) erwartet für die kommenden fünf Jahre einen Mangel an hoch qualifizierten Fachkräften. 3
Hauptgrund: Die Zahl der erwerbsfähigen Personen in Deutschland sinkt, der Fachkräftemangel ist also kein konjunkturelles, sondern ein strukturelles Problem. Das Arbeitskräftepotenzial wird sich in den kommenden 20 Jahren um über sechs Millionen verringern, bis 2030 kann so eine Arbeitskräftelücke von gut fünf Millionen Personen entstehen.
Unternehmen können die Auswirkungen des Fachkräftemangels für sich abmildern, indem sie ihre Beschäftigten aktiv dabei unterstützen, Beruf und Familie zu vereinbaren.

Generation Y: Vereinbarkeit ist Top-Thema

Wer heute junge Erwachsene zwischen 25 und 39 Jahren fragt - vor allem diejenigen mit Kindern unter 18 Jahren - muss erkennen, dass ihnen bei der Wahl eines neuen Arbeitgebers familienfreundliche Arbeitsbedingungen und Freiräume mindestens genauso wichtig sind wie das Gehalt. Das heißt: Wer es sich erlauben kann, nimmt auch bewusst ein niedrigeres Gehalt in Kauf, um dafür beispielsweise günstigere Arbeitszeiten zu haben. Viele dieser Altersgruppe können sich vorstellen, für bessere Vereinbarkeitsbedingungen den Arbeitgeber zu wechseln.
Wer seinen Führungs- und Fachkräften also kein geeignetes Modell bieten kann, um berufliche und familiäre Belange zu vereinbaren, wird sie vielleicht verlieren – und dann nicht so leicht neue finden.

Unvereinbarkeit als Kostenfaktor

Auch die Folgen einer Überlastung durch Beruf und Pflege in Form von Arbeitsausfällen, geringerer Produktivität und vermehrten Krankheitstagen können für Unternehmen zu einem wirtschaftlichen Risiko werden. Beschäftigte, die bei der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf unterstützt werden, fehlen dagegen seltener, arbeiten motivierter und damit letztlich produktiver und fühlen sich dem Unternehmen mehr verbunden. Dies senkt wiederum die Fluktuation und somit Rekrutierungs- und Einarbeitungskosten. Hinzu kommen Wettbewerbsvorteile durch eine höhere Attraktivität als Arbeitgeber.

Befragung von Unternehmen

Das Zentrum für Qualität in der Pflege hat Ende 2014 bundesweit Personalentscheider/-innen in Unternehmen zum Thema befragt 4. Die Ergebnisse sind widersprüchlich, sie zeigen einerseits, dass vielen Personalern/-innen das Thema bewusst ist, aber längst nicht alle Unternehmen gut aufgestellt sind.
Ein paar Fakten:
76 Prozent der Personalentscheider hielten es für ‚(sehr) wichtig‘. Die Mehrheit der Befragten hielt allerdings keine spezifischen personalpolitischen Konzepte für pflegende Angehörige vor (72 Prozent). Nur 20 Prozent der Unternehmen hatten solche spezifischen betriebsinternen Angebote. Größere Unternehmen waren häufiger als kleinere auf pflegende Angehörige eingestellt: 43 Prozent der Unternehmen mit 250 und mehr Beschäftigten gegenüber 13 Prozent der Unternehmen mit zwischen 50 und 249 Beschäftigten hatten bereits spezifische Angebote; nur 8 Prozent gaben an, solche Angebote zu planen. Die Antworten auf die Frage, ob es in ihrem Unternehmen Mitarbeiter/-innen gibt oder gab, die einen Angehörigen pflegen beziehungsweise gepflegt haben, zeigen, dass sich längst nicht alle dem Problem stellen wollen – und viele es daher ignorieren: Ein gutes Drittel (37 Prozent) der Befragten wusste von Mitarbeiter/-innen, die zuhause pflegen, 60 Prozent aber gaben an, dass noch kein solcher Fall in ihrem Unternehmen aufgetreten sei. Die tatsachliche Zahl der Mitarbeiter/-innen, die einen Angehörigen pflegen, muss aber erheblich höher liegen.
Wer hat hier die Bringschuld? Beschäftigte, die sich outen sollten oder Führungskräfte, die das Thema offensiv auf die Agenda setzen müssen?


Konkurrenzfähig, glaubwürdig, überzeugend: Statements aus Unternehmen der Kampagne im EN-Kreis

Die Kampagne arbeiten-pflegen-leben im Ennepe-Ruhr-Kreis hat gezeigt, dass Impulse von oben mehr bewirken können als Einzelanfragen der betroffenen Beschäftigten. Und dass Unternehmen sich keine Sorgen machen müssen, dass pflegende Beschäftigte für sie eingeführte „Sonderrechte“ ausnutzen. Vielmehr zeigt sich, dass die Betroffenen damit sehr verantwortlich umgehen. Vor allem, wenn sie erkennen: Mein Unternehmen meint es ernst, und die Führung geht voran.

AVU, Gevelsberg – eines der beiden Pionierunternehmen zum Kampagnenstart

Das Durchschnittsalter der Beschäftigten liegt bei etwa 46 Jahren und wird eher ansteigen. Ältere Mitarbeiter haben ältere Angehörige. Erfahrene und zufriedene Mitarbeiter sind für die AVU wichtig.

hwg, Hattingen - eines der beiden Pionierunternehmen zum Kampagnenstart

Als Wohnungsunternehmen beschäftigen wir uns mit den Bedürfnissen unserer Mieter, auch vor dem Hintergrund der demografischen Veränderungen. Die gleichen Probleme können ebenso schnell unsere Mitarbeiter/innen treffen. Deshalb nehmen wir die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege sehr ernst.

BIW Isolierstoffe GmbH, Ennepetal

Im Moment gibt es einige Mitarbeiter/innen, von denen wir wissen, dass sie einen Elternteil pflegen. Sie nutzen dafür vor allem unsere flexiblen Arbeitszeiten. Aber eine einfache Demografieanalyse zeigt uns, dass wir noch besser vorbereitet sein müssen, denn knapp 50 Prozent der Beschäftigten bei BIW sind über 40 Jahre alt, erfahrene Mitarbeiter/innen, auf die ein flexibles Unternehmen mit Kunden in der ganzen Welt nicht verzichten kann und will. Konkurrenzfähig ist BIW auf dem Weltmarkt nur, weil es schnell auf Kundenwünsche reagieren kann und gute Qualität liefert. Die Konkurrenz schläft nicht – wer als Arbeitgeber attraktiv und konkurrenzfähig bleiben will, muss sich jetzt bewegen.

FAN – Freie Alten- und Nachbarschaftshilfe e.V., Ennepetal, Gevelsberg, Haßlinghausen, Schwelm

In der FAN, mit 110 Mitarbeiter/-innen, zahlreichen ehrenamtlichen Kräften und sieben Fachbereichen, können wichtige Dinge nicht informell zwischen Tür und Angel besprochen werden, aber allzu formell darf die Kommunikationskultur auch nicht sein. Festzulegen, wer mit wem wann reden muss, damit Probleme schnell gelöst werden, ist ebenso wichtig wie die Ermutigung zum offenen Gespräch. Die Situationen ändern sich oft und schnell. Da kann es passieren, dass in einem Team der Mann einer Kollegin im Sterben liegt und kurze Zeit später bei einer anderen die Mutter ein Pflegefall wird. Es gibt darum nicht die Ideallösung, wir müssen jeden Tag neue individuelle Lösungen finden.

IG-Metall Bildungszentrum Sprockhövel

Das Bildungszentrum der IG-Metall in Sprockhövel ist nicht nur als reibungslos funktionierende Tagungsstätte ein Schaufenster der Gewerkschaft. Die Gäste sind in der Regel Kolleg/-innen und achten auch darauf, wie glaubwürdig die gewerkschaftlichen Ansprüche im „eigenen“ Betrieb umgesetzt werden. Wer ohne Angst nach Lösungen fragen kann, wenn es zuhause eng wird, kann entspannter mit den Arbeitsbelastungen umgehen. Wir organisieren Tagungen und Konferenzen mit allen möglichen Sonderwünschen. Das sind extrem hohe Anforderungen mit Überstunden und flexiblen Arbeitszeiten. Wer da mitzieht und hilft, dass wir das hinkriegen, der hat es auch verdient, dass wir helfen, wenn es auf der privaten Seite Probleme gibt.

Stadt Gevelsberg

Von einer Verwaltung erwarten Bürger/-innen ebenso gute Dienstleistungen wie von einem Unternehmen. Von seinen Mitarbeiter/ innen erwartet der Bürgermeister der Stadt Gevelsberg, Claus Jacobi, dass sie mitteilen, wenn ihnen die private Sorge für Angehörige über den Kopf wächst und Vorschläge machen, wie man sie noch besser unterstützen könnte. Für den öffentlichen Dienst kann man Mitarbeiter/-innen nicht etwa durch die Verlockungen extremer Bonuszahlungen gewinnen, sondern durch sichere Arbeitsplätze und eine familienbewusste Personalpolitik – Werte, die längst auch bei vielen jungen Männern hoch im Kurs stehen.

DRK soziale Dienste, Kreisverband Witten gGmbH

Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Rettungsdienst, der häuslichen Pflege, im Menüdienst und Hausnotruf sind an 365 Tagen im Jahr 24 Stunden im Dienst. Dieser Dienst am Menschen verlangt von den Beschäftigten ein hohes Maß an Qualifikation und Einsatzbereitschaft. Deshalb ist es selbstverständlich auch unsere Pflicht als Arbeitgeber, unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in schwierigen Lebenssituationen zu unterstützen. Dies geschieht in erster Linie durch die direkte Ansprache der Abteilungsleiter, die, sofern gewünscht, zusammen mit der Pflegedienstleitung oder mit unserem pädagogischen Team individuelle Hilfen entwickeln.

Fachkräfte halten

Sichern Sie
sich Fachkräfte !!

Familienbewusste Unternehmen sind in allen relevanten betriebswirtschaftlichen Kennzahlen eindeutig besser:

  • um 17 % höhere Mitarbeiterproduktivität
  • um 17 % höhere Motivation der Beschäftigten
  • um 13 % geringere Fehlzeiten
  • um 17 % höhere Bindung von Fachkräften
  • um 12 % längerfristige Kundenbindung
    (positives Image als familienfreundliches Unternehmen)

durchschnittl. Folgekosten pro Beschäftigter/m: gut 14.000 Euro jährlich

Quelle: FFP Expertise 2011

Fachkräfte halten

Sichern Sie
sich Fachkräfte !!

Familienbewusste Unternehmen sind in allen relevanten betriebswirtschaftlichen Kennzahlen eindeutig besser:

  • um 17 % höhere Mitarbeiterproduktivität
  • um 17 % höhere Motivation der Beschäftigten
  • um 13 % geringere Fehlzeiten
  • um 17 % höhere Bindung von Fachkräften
  • um 12 % längerfristige Kundenbindung
    (positives Image als familienfreundliches Unternehmen)

durchschnittl. Folgekosten pro Beschäftigter/m: gut 14.000 Euro jährlich

Quelle: FFP Expertise 2011

Quelle: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK) e.V. (Hrsg): Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Wie Unternehmen Beschäftigte mit Pflegeaufgaben unterstützen können, Berlin, Juli 2014, S. 6–8; vgl.
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Pflegestatistik. Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung – Deutschlandergebnisse, Berlin 2011

Quelle: Gerlach, I. u.a. (2013): Status quo der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in deutschen Unternehmen sowie betriebswirtschaftliche Effekte einer familienbewussten Personalpolitik, Ergebnisse einer repräsentativen Studie des Forschungszentrum familienbewusste Personalpolitik, Münster/Berlin
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Renditepotenziale der NEUEN Vereinbarkeit. Studie der Roland Berger GmbH. Berlin, September 2016
http://www.ffp.de/tl_files/dokumente/2013/ub2012_bericht.pdf
http://www.ffp.de/tl_files/dokumente/2013/ub2012_kurzfassung.pdf (Kurzfassung)
https://www.erfolgsfaktor-familie.de/fileadmin/ef/Wissenplattformfuer_die_Praxis/Studie_BWL.pdf

Quelle: Deutscher Industrie- und Handelskammertag e. V. DIHK (2010): Mitarbeiter dringend gesucht! Fachkräftesicherung – Herausforderung der Zukunft, zitiert nach: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK) e.V. (Hrsg.): Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Wie Unternehmen Beschäftigte mit Pflegeaufgaben unterstützen können, Berlin, Juli 2014, S. 9

Quelle: Zentrum für Qualität in der Pflege (Hrsg.):
ZQP - Themenreport. Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Berlin 2016.S. 87-96